Die Taschen sind gepackt, Reifen gepumpt und die ersten Unterkünfte gebucht ... dann, plötzlicher Corona-Lockdown. Das war 2020.
Jetzt, 3 Jahre älter, brechen wir endlich zu dieser großen Reise auf und freuen uns, auf eine intensive gemeinsame Zeit miteinander.
Wenn wir uns etwas wünschen dürften, dann das, dass wir die Navigation nach Sagres nicht aus den Augen verlieren und stets das Rad kontrolliert verlassen.
Nach dem Berliner Kaltstart und dem ständig getreten werden, müssen sich die Räder erholen, wollen gewaschen und ein Schlauch geflickt werden. Wir indessen langweilen uns nicht, "stolpern" als Erstes über den 7. Längengrad Ost bei einem Stadtbummel.
In den nächsten Tagen wird ausreichend Zeit sein, Organisatorisches zu erledigen sowie sich auf den französischen Teil der Reise einzustimmen. Alles ohne Französischkenntnisse!
Super interessant finden wir das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen mit seiner Sonderausstellung über Papier. Dort wird sehr anschaulich über die geschichtliche Entwicklung der Zeitung, deren technische Herstellung sowie der Pressegeschichte informiert.
An einem anderen Tag besuchen wir das UNESCO Weltkulturerbe Völklinger Hütte, wahrlich ein Koloss aus Eisen und Stahl! Die historische Anlage ist komplett erhalten, ohne Führung jedoch eher unüberschaubar.
Abends zelebrieren wir bei einem Vinho Tinto den aktuellen Portugal-Krimi "Lost in Fuseta".
Zwischendurch erfreuen sich unsere Muskeln in der Saarland-Therme mit ihrem maurisch-andalusischen Flair. Was will man mehr :-))
Die Einfahrt nach Frankreich beginnt, leider ohne Sprachkenntnisse. Erstes Frühstück: Nescafé (gewöhnungsbedürftig), Croissant mit Marmelade (gut, aber zum Fahren zu wenig), jedenfalls reicht es nicht zum Verhungern ;-))
Nach der ausgiebigen saarbrücker Pause "treideln" unsere Räder entlang dem Saarkanal, ehemals für den Steinkohletransport gebaut. Später wechseln wir auf den Marne-Rhein-Kanal, insgesamt werden ca. 50 Schleusen passiert. Seit einiger Zeit gleicht das Radeln eher einer Meditation mit leisem Surren der Räder, Vogelgezwitscher und quakenden Fröschen. So vergehen Stunden und Tage, insgesamt 140 km.
Die ehemals wichtigen, jetzt historischen Kanäle sind einfach nur schön. Das wissen auch einige Freizeitkapitäne. Die Schiffe benötigen pro Schleusengang ca. 30 Minuten, wir indes ziehen seitlich daran vorbei. Spektakulär ist der in Europa einzigeartige Schrägaufzug für Schiffe in Saint-Louis/Arzviller. Er bringt zumeist Freizeitschiffer von der Lothringischen Hochebene ins Elsass. 45 m Höhendifferenz werden mit einem Mal überwunden, anstelle einer 17-stufigen Treppenschleuse.
Die Tage gleiten dahin, bis zum nächsten Ruhetag. Dieser wird vollständig benötigt für Streckenänderung sowie dem Buchen von Unterkünften der nächsten 2 Wochen. Sie sollten, wenn möglich, immer dicht an unserer Strecke sein, ins Budget passen und ganz schöööön sein. Elsässischer Flammkuchen und Edelzwicker passen schon mal gut. Es gibt außerdem zahlreiche sehr alte Fachwerkhäuse (teils16 Jh), Pâtisserien, jede Menge Touristen und das sonnige Wetter in Colmar liegt bei 25°C, einfach traumhaft!
Frisch erholt und mit gewonnener Routine fahren wir entlang der Ill nach Mulhouse, eingerahmt vom Schwarzwald zur Linken und den Vogesen zur Rechten. Die leckeren Flammkuchen des Elsass tauschen wir gegen neue regionalen Köstlichkeiten im Burgund-Franche-Comté.
Den Weg dorthin "ertreideln" wir abwechselnd am Rhone-Rheine-Kanal und dem Doubs, Richtung Westen. Dieser Fernradweg Euroveloroute 6 ist von bester Qualität in punkto Wegbeschaffenheit und Ausschilderung!
Zunehmende Wärme, Sonne und Wind lassen die Pollen zahlreich wirbeln. Daher wählen wir kurze Etappen, um die Kraftreseven nicht zu überstrapazieren.
Eine Anreihung von skurilen Unterkünften lassen das Reisen äußerst spannend werden.... Spätestens am Abend mit regionalem Käse und Baguette sind die Mühen vergessen und können uns der Entspannung hingeben :-)
Die Baukünste des Herren Vauban lassen sich in Besançon besichtigen, Festungsbau mit Zitadelle gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.
In der königlichen Saline Arc-de-Senans wurde das "Weiße Gold" bis Ende des 19. Jh gewonnen. Für die Herstellung dieses Salzes kam die Sole unter anderem aus Salins-les-Bains. Für den 21 km langen Transportweg wurde eine Holzpipeline aus über 15.000 Bäumen benötigt, die dafür ausgehöhlt und ineinander gesteckt wurden.
Dieses Salinen-Ensemble gehört sowohl zum UNESCO-Weltkulturerbe als auch zum Industriedenkmal.
Völlig ehrwürdig über die schwere Arbeit der damaligen Zeit, verlassen wir die Stätte und widmen uns wieder unserem Reiseverlauf.
Bisherige Erkenntnis zu unserer Fahrstrategie: Mit dem aktuellen Kilometerdurchsatz, in Verbindung der relativ häufigen Pausentage, werden wir kaum in der angedachten Zeit in Portugal ankommen. Allerdings haben wir uns dadurch auch nicht, nach dem "Kaltstart" im April, übernommen.
Die EV6 ist nun die alte Jura-Weinstraße geworden mit ihren regional typischen Steinhäusern. Die kleinen Dörfer sehen idyllisch aus in dieser schönen bergigen Landschaft. Wein wird überall feilgeboten, wir indes fahren weiter und füllen nicht unsere Flaschen. Wenn wir ab und an gleichgesinnte Radler treffen, ist die Freude groß und der Erfahrungsaustausch stets sehr bereichernd.
Nachdem wir das Jura Faltengebirge verlassen haben genauso wie die liebgewonnene EV6, werden inzwischen unsere Strecken länger, wir aber auch schusseliger..., die Temperaturen liegen bei knapp 30°C, Vorsicht ist geboten!
Ganz unerwartet treffen wir auf Nicephore Niepce in Chalon-sur-Saône, dem Erfinder der Fotographie. Ihm ist ein Museum gewidmet, dort verweilen wir gern.
In der Fortsetzung origineller Unterkünfte sind wir zur "Feier des Tages" im extravaganten "La Maison des Roses" bei dem sympatischen Künstler Serge Olivares in Moulins untergekommen. Anschließend radeln wir gegen den Strom enlang des Flusses Allier auf der Véloroute V70. Wir befinden uns in der Region Auvergne-Rhône-Alpes mit einem Übernachtungsstopp in Vichy. Diese Stadt entpuppt sich als Perle, kein Wunder, denn sie ist seit kurzem eine der bedeutenden Kurstädte Europas geworden, UNESCO.
Inzwischen ist auch die 2.000 km-Marke überrollt. Pause.
Zwischen Cahors und Montauban gibt es keine definierte Radroute, also behelfen wir uns mit einer improvisierten Tour. Wegen Schotterpisten sowie heftigen Straßenneigungen muss öfter geschoben werden. Es läuft halt nicht immer nach Wunsch. In Montech steht das weltweit erstgebaute Wasserkeilhebewerk für Schiffe, welche durch zwei Züge nach oben bzw. nach unten bewegt werden. Anschließend "treideln" wir entspannt am "Canal Latéral à la Garonne" entlang. Die majestätische "Pont-Canal d'Agen" von 1842 misst ganze 539 Meter und ist die zweitlängste Kanalbrücke Frankreichs.
Von nun an ist die "La Scandibérique", der französische Teil der EV3, unser Wegweiser. Freilaufende Hofhunde auf der Straße jagen einem einen gehörigen Schrecken ein, oder wollen sie nur spielen?
Schattige Pausenpunkte, Verpflegungs- und Wassestellen auf dem Weg suchen wir vergebens. Zum Glück führen wir stets ausreichend mit! Unwetter vor wenigen Tagen hebelten wuchtige Bäume aus und zwingen uns, diese Hürden kletternd zu überwinden. Nach diesem schwierigen Gelände ist es an der Zeit, sich eine kleine Auszeit im Château in Cazaubon zu gönnen, sogar mit einem "Schlossgeist" ;-) Dort ist man sich nicht zu fein, trotz Sterneköchin, für uns Radler eine Extra-Pesto-Pasta ohne Gedöns zu kochen.
Es gibt aber auch "schwarze" Tage, wenn nämlich gleichzeitig Forumslader und 2 Smartphones ausfallen! Netzausfall, Planen, buchen,... :-(
Beinahe wären wir in Mont-de-Marsan dem Tross der Tour de France begegnet, der hier mittags startete. Wir erfrischen uns ersatzweise mit einem Panaché (franz. Radler) auf der Marktplatz-Party.
Das Landschaftsbild verändert sich. Es wird sandig, trocken bei 30°C. Unterwegs fällt ein Graffiti ins Auge. Es stellt die erfolgreichste Radsportlerin der Welt Jeannie Longo dar, im Nebenort wohnend.
Noch heute sprudelt in Dax eine ~67°C heiße Quelle "Fontaine Chaude", welche die Römer seinerzeit entdeckten. Zahlreiche Hotels tragen "Therme" als Beinamen, was aber nichts mit Spa zu tun hat. Wieder was gelernt. Hunderte Motorradfreaks knattern an diesem Wochenende zum "Motor n' Blues Festival" nach Dax. Es ist ohrenbetäubend, wir indes genießen ein vertrautes tolles Abendessen beim Portugiesen "O Grill Lusitano".
Inzwischen in Urt angelangt, beginnt die Region des Baskenlandes mit eigener Geschichte...
Ab jetzt sind es noch 3 Tage bis zur Pyrenäen-Überquerung. Konzentration und Einteilung der Kräfte haben absolute Priorität! Die außergewöhnlich starken Anstiege auf der EV3 gehören nicht zum Plan, dennoch Vorfreude auf Saint-Jean-Pied-de-Port lenken super ab. Hier in der mittelalterlichen Innenstadt sieht es aus wie im Film! Die vielen Pilger stehen an, um den ersehnten Passstempel zu bekommen. Am UNESCO Saint-Jacques-Tor treffen drei Pilgerwege zusammen, die gemeinsam nach Santiago de Compostela führen. Voller Eindrücke ziehen wir heute zum Pyrenäen-Aufstieg. Zahlreiche Kreuze, Kapellen und Ruinen von Hospizen säumen den Caminho Francés. Unsere Tagesetappe umfasst etwa 25 km bei mittlerem Anstieg von <10%. Das Daumendrücken unserer Feunde, perfekte kühle 26°C, bewölkter Himmel und die dazugehörige Portion Adrenalin tragen uns auf den Ibañeta-Pass, 1057 Meter. Mit dieser Tour sind wir glücklich in Spanien gelandet.
Nach der Pyrenäen-Überquerung genießen wir eine ausgiebige Fahrpause, um spanisch und baskische/euskara Atmosphäre zu schnuppern. Unterkünfte können erfreulicherweise ab mittags bezogen werden. So starten wir gegen 8:00 Uhr, um bis zur Nachmittagshitze am Tagesziel zu sein.
Im weiteren Verlauf finden wir über unser Buchungsportal keine Angebote, die auf unserer Route liegen. Daher entwickeln wir sie neu und buchen für 10 Tage bis Burgos vor.
Pamplona lässt sich auf einem tollen Grünweg durchqueren, vom Trubel der Stadt bekommt man wenig mit. Es sind 35°C angesagt. Gleich nach Pamplona überrascht uns eine 4 km lange Schotterpiste zuzüglich weiterer Hindernisse wie Landwirtschaftwege und Baustellen. Nach dieser Erfahrung weichen wir bevorzugt auf Nationalstraßen aus, die für Radfahrer zulässig sind und nutzen nicht den Europaradweg EV3. Unser Weg führt über Vitoria-Gasteiz in das Valle Salado de Añana (Salztal). In diesen Salinen lebt eine über 7.000 Jahre alte Geschichte der Salzgewinnung, die noch heute von einem Förderverein bewirtschaftet wird. 2018 wurde es zum Weltagrarerbe ernannt.
Ein weiteres Mal vollbringen wir Buchungsklimmzüge für drei weitere Wochen bis Portugal, einschließlich Routenanpassung. Im Eifer vergessen wir Pausentage einzubauen. Es sollte nun nix dazwischen kommen! Gymnastik, Massagen, Mutzusprechen und dann los.
Die Pilgerdichte erhöht sich an der beeindrucken Kathedrale von Burgos. Sie gehört zum UNESCO-Weltkurturerbe. Auch hier gibt es eine super Durchleitungsstrecke für Radler. Unsere Strecke wird täglich aktualisiert, um möglichst auf Asphaltwegen zügig voranzukommen. Über die große Weite des kastillischen Hochlandes (auf ca. 900 m) können wir nur staunen. Getreide- und Sonnenblumenfelder reichen bis zum Horizont. Auf dem Hochplateau ist es morgens 11°C und mittags 25°C, ein Traum für Radler! Den Kanal von Kastillien kreuzen wir mehrfach, auf dem ehemals Getreide transportiert wurde. Mit seinem riesigen System aus Aquädukten dient er noch heute der Bewässerung von Anbauflächen.
Bisher haben wir eine deutliche Preisdifferenz für Unterkünft und Verpflegung im Gegensatz zu Frankreich wahrgenommen. Das Essen hier kommt unserem Gaumen sehr viel näher: Portion, Gewürze, Preis. Auch lernen wir Pinchos kennen (Tapas am Spies), hmm!
Eine interessante Bauweise der Häuser mit individuellen Arkaden finden wir in Villalón de Campo, wo es einen typischen Schafskäse gibt. Er wird mit der Skulptur einer Käseverkäuferin geehrt.
Zahlreiche z.T. verfallene Rundlehmhäuser stehen in dieser Region. Sie sind bis zu 500 Jahre alt und galten der Taubenzucht. Die alten Römer hinterließen Bodegas, eine Anlage zur Weingewinnung mit einer Tiefe von 12m für konstante Temperatur und Feuchtigkeit.
Der Abschnitt endet in Benavente. An diesem Wochenende feiern alle eine "mittelalterliche Fiesta" mit Musik, Falkenshow und allem Trubel. Es ist an der Zeit, weiterzuziehen.
Nach dem mittelalterlichen Fest von Benavente sind wir wieder in der Jetztzeit. Und überhaupt, im Vergleich zu früher beobachten wir heute in Spanien einen freundlicheren Umgang mit Tieren, dank neuester Tierschutzverordnung :-)
Unsere Tour führt weiter entlang gigantischer Flächen verbrannter Wälder. Das Feuer vom Juni 2022 lässt die Katastrophe erahnen, die im Kantabrischen Gebirge, Region Zamora vorging. Solche "Bilder" wirken nach!
In dem dünn besiedelten Gebiet von Sanabria gibt es nur ein geringes Angebot im Gastgewerbe (einkaufen, Unterkünfte,...), was für uns und Pilger mit sehr großem Aufwand sowie langen Strecken verbunden ist. Obwohl die Wege exzellent markiert sind, sehen wir mehr Schilder als Pilger.
Die äußerst wenig befahrere N-525 "Red carreteras" bleibt unsere bevorzugte Straße. Sogar zwei ca. 450m lange beleuchtete Tunnel können gefahrlos durchfahren werden. Zugesetzt haben uns die Höhenmeter, Steigungen bis 8% bei Gegenwind >50km/h. Oh ja, wie erholsam sich eine Wanne zu zweit im gepflegten Hotel anfühlen kann! Nach drei Tagen Pause ist es schwer, wieder in den Tritt zu kommen. Aber irgendwann wird man mit einer 10km langen Abfahrt belohnt und kommt in Vérin an. Hier stehen zahlreiche Häuser in der Altstadt leer, wo sich Banksy verewigt hat. Wir erfreuen uns bei dem Rundgang. Da Verín in einer Talsenke liegt, muss man über 10km lang eine Steigung von 5-7% überwinden.
Die kastilische Küche ist in die galicische übergegangen. Paprika kommt stärker ins Spiel. Dazu passt, dass immer noch große Flächen Sonnenblumen zu sehen sind, deren Öl für die Herstellung von Kartoffelchips benötigt werden. In Xinzo de Limia befindet sich der größte spanische Produktionsstandort. Hier knabbern wir nicht nur "Das Original", sondern nehmen uns Zeit für das kleine Museum (Museo Galego do Entroido) mit einer persönlichen Führung. Sie bringt uns engagiert die Bedeutung des Karnevals/Masken in Galicien und speziell in Xinzo näher.
Inzwischen gut 34°C im Schatten, den es nicht gibt, treten wir angeschlagen in die Pedale. Streckenänderung wegen Hoffnung auf Schatten, bescheren uns unwegsames Gelände, Höhenmeter gratis.
Die letzte spanische Etappe nach Arcos de Valdevez (P) steht an. Aus Sorge vor erneutem schwer befahrbarem Gelände, entscheiden wir uns nicht für die Ecovia am Rio Lima, sondern für die gut ausgebaute Straße in höherer Lage. "Versehentlich" misst diese Tagesetappe die meisten Höhenmeter in Spanien/Portugal. GERÊS - XURÉS ist eines der größten grenzüberschreitenden Reservate in der Europäischen Gemeinschaft. Der Wald ist bedeutend, laut der UNESCO, die vor Kurzem das Gebiet zum Biosphärenreservat erklärt hat.
Erleichtert und zufrieden passieren wir den alten portugiesischen Zollposten. Kurz darauf steht in Lindoso das gleichnamige Castelo, zu derem Fuße die Ansammlung von 60 gut erhaltenen Espigueiros stehen, die im Minho früher üblichen Getreidespeicher. Als wir endlich den ersten Galão in portugiesisch bestellen, setzt die Freude auf die kommende Zeit ein. Reich an Erlebnissen schließen wir mit der spanischen Stecke ab.
In Portugal ist Arcos de Valdevez die erste Station zum Durchatmen und Einstimmen auf Sprache, Land und Leute. Zu dieser Zeit finden hier und in ganz Nordportugal Festwochen mit Folklore, Trommelgruppen, religiöse- sowie landwirtschaftliche Umzüge statt, sogar mit Cachena-Rindern aus dem Peneda-Gêres. Es ist wahrlich eine Stadt im Ausnahmezustand, wo Menschenmassen bis morgens um 6 Uhr feiern. Selbst ein Feuerwerk gibt es direkt vor unserem Hotelfenster, welches wir als persönlichen Willkommensgruß betrachten ;-) Als regionalen Nachtisch bekommt man hier "Os Charutos dos Arcos", eine Süßspeise der speziellen Orangensorte, die in Ermelo angebaut wird. Es existieren heute nur 850 Bäume am Rio Lima. Die Zisterziensermönche züchteten sie im 13-ten Jhd an dieser Stelle. Bei der Weiterfahrt auf der Ecovia am Lima reißt uns ihre zappelige Strecke aus den Träumen. Zu Fühlen gibt es abwechselnd sandgeflutete Wege, Schotter, sehr enge und stark befahrene Strassen. So läuft es bis Viana do Castelo. Um in die Stadt zu gelangen, überqueren wir die enge einspurige Ponte Eifel/EV1 bei extrem starken Gegenwind, was hier üblich ist (nur für geübte Radler). Um zu sehen wo wir gelandet sind, gönnen wir uns den 100-jährigen Schrägaufzug zum Castelo. Meeeerblick!
Küstennah radeln wir Richtung Süden, nun aber mit Rückenwind. Die Dünenwege sind Holzstege, neuerdings teils für Radler verboten oder tief vom Dünensand bedeckt. Die Routenführung der EV1 ist leider sehr ungenau, öfter landen wir in einer Sackgasse und müssen umkehren!
Es gibt auch freudige Überraschungen: nämlich als in Matosinhos sich jemand Zeit nimmt, uns beide in deutscher Sprache durch eine Konservenfabrik führt. Sardinen & Co werden hier bis heute ausschließlich in traditioneller Handarbeit sortiert, gereinigt und in Dosen gelegt. Die 1920 gegründete Fabrik Pinhais zählt zu den ältesten in Portugal und ist an dieser Stelle die letzte von 50 Fabriken, die dieser Stadt erhalten geblieben ist.
Allgemein werden wir fahrtechnisch langsamer, weil zunehmend Genuss im Vordergrund steht und wir uns tendenziell zu Hause fühlen. Darauf stoßen wir in Vila Nova de Gaia mit einem leckeren Portwein an.
Auffallend viele Pilger kommen uns auf dem Caminho Português entgegen. Sie sind vermutlich vom Pabstbesuch (Weltjugendtag) aus Lissabon nun auf dem Weg nach Compostela.
Weiterhin fahren wir dicht am Atlantik. Die Atmosphäre mit Musik am Strand ist sehr entspannend. Kurz vor Aveiro befindet sich das Naturschutzgebiet Ria de Aveiro (Haff), wo Flamingos rumstehen. Toll! Völlig glücklich fahren wir nach Aveiro-Bom Sucesso ein, wo wir vor über 20 Jahren einige Zeit gewohnt haben. Die Wiedersehensfreude mit den inzwischen zu Freunden gewordenen Nachbarn ist riesig. Also wird gefeiert, Prost und Saúde.
Bei 36°C mit frischer Wäsche im Gepäck, ziehen wir zufrieden durch die kleinen Dörfer weiter Richtung Süden. Obwohl ausreichend Wasser an Board ist, wird man ob der lauwarmen "Plempe" trinkfaul. Umso mehr schätzt man ein Kaltgetränk in einem Café.
Wenn es nach "geöffnetem Reiskochtopf" riecht, befinden wir uns in den Reisfeldern des Mondego-Deltas bei Figueira da Foz in Lavos. Das hier neu eröffnete Salzmuseum gibt einmal mehr Einblicke in die Salzproduktion und deren Verwendung. Für unser Abendessen ernten wir Salicórnia (Seespargel), was auf salzhaltigem Boden gedeiht. Zum Nachtisch entdecken wir Pastéis de Tentúgal. Die Nonnen des 1565 gegründeten gleichnamigen Klosters erschlossen ihre Einkommensquellen mit der Herstellung dieser knusprigen, hauchdünnen blätterteigähnlichen Süßspeise, gefüllt mit einer Eier-Zuckermasse. Himmlisch!
Weiter auf der Tour liegt schwerer süßer Duft in der Luft, denn es beginnt die Erntezeit von Trauben, Feigen und Nektarinen, von deren Qualität wir uns des öfteren überzeugen.
Inzwischen befinden wir uns in Pombal, wo eine Auswandererskulptur steht. Sie berührt uns, weil wir verstehen, dass dahinter Abschied, Leid und Saudade steckt. Am Folgetag steht direkt an unserm Weg ein solcher Überseekoffer. Wir sind den Tränen nahe.
Die überraschenden Anstiege von 10/12/13% sind in Portugal auch nicht einfacher als anderswo zu fahren. In der "Quinta da Alcaidaria Mór" werden wir deshalb mit Beifall, Bravo und einen Bierchen begrüßt. Das geht runter wie Öl. Trotz zahlreicher Erholtage fühlen wir uns physisch und psychisch schlaff, Beine schlackern, sind fahrmüde. Das dürfen wir jedoch noch nicht zulassen, daher alles gaaanz langsam! Jeder passt auf sich und den Anderen auf.
Der Ort Entroncamento heißt Verzweigung, was sich auf die Bahn bezieht. Daher befindet sich an dieser Stelle das Eisenbahnmuseum mit Schmuckstücken aus vergangener Zeit, Touristenspaß inclusive.
Im weiteren Verlauf gelingt es uns, reichlich Kilometer der geplanten Stecke einzusparen. Somit bleibt noch Energie für Schotter und Sand übrig :-( Beim Pausenpunkt ernten wir reife Tomaten, die super zu unseren Schnittchen passen, denn die Tomatenernte ist in vollem Gange.
Es war einmal vor langer Zeit... die Erzählung über "Sopa da Pedra", Steinsuppe, erfahren wir in Almeirim, dem "Suppenzentrum" mit Mönch. Am nächsten Morgen holen wir gut gelaunt die Räder aus ihrem Unterschlupf, da haben wir einen "Platten". Ok, flicken und los. Nach einem Kilometer Fahrt, der Nächste und später der Dritte. Alle an einem Tag! In Coruche im Fahrradladen klärt man uns über das derzeitige Dornengestrüpp "Abre-olhos" (=Tribulus terrestris) auf. Mit einem größeren Vorrat an Schläuchen und Flickzeug ziehen wir weiter und nutzen ausschließlich asphaltierte, "saubere" Straßen.
Plötzlich befinden wir uns im Alentejo mit seinen Pinienwäldern und Korkeichen. Seit Jahren leidet die Region unter anhaltend hoher Hitze und starken Winden, was die Bäume vielerorts erkranken lässt.
Nach intensiver Überlegung entscheiden wir uns, nicht über Dorfstraßen zu fahren, sondern auf dem Seitenstreifen der Schnellstrasse IC 1, was nur erfahrene Reiserradler in Betracht ziehen sollten.
Unser Traum aus dem Jahr 2000 begann ziemlich genau hier, wohin wir umsiedeln wollten (...). Geblieben ist eine innig gewachsene Freundschaft, und die Vorfreude auf ein baldiges Wiedersehen wächst. Noch einmal einen Reifenschaden und dann treffen wir endlich gesund und glücklich bei unseren Freunden in Grândola ein. Wir schätzen das vertrauensvolle Verhältnis mit ihnen und dass wir an der alentejanischen Lebensweise teilhaben können. So genießen wir die wertvollen Tage mit Gesprächen, Lachen und zelebrieren ausgiebig die Saudade.
Das Lied "Grândola - Vila Morena" löste am 25. April 1974 die Nelkenrevolution aus und ermöglichte damit die ersten freien und demokratischen Wahlen. Wir verlassen diese Stadt nach einem warmherzigen Abschied von unseren Freunden; radeln weiter Richtung Süden über hüglige, teils karge Landschaft.
EuroVelo-Route 1 (EV1), das unbekannte Terrain: Wo Industrie, Strand und Tourismus ist, sind die Wege asphaltiert, ein großer Anteil allerdings besteht aus Schotter- und Sandpisten, auch rattert man über kilometerlange harte Bodenwellen. Eine EV-Strecke ist eben nur eine Route, auf der Radfahrer fahren können. Das heißt keinesfalls, dass es sich immer um einen Radweg handeln muss. Da können schon mal 44 km sechs Stunden Zeit in Anspruch nehmen. Mit dieser Erfahrung weichen wir wieder auf Nationalstrassen aus.
Der Countdown für die letzten Etappen läuft. Abschiedsstimmung macht sich breit, gepaart mit Freude und Stolz, etwas wirklich Großes geleistet zu haben! In Zambujeira do Mar sind wir erst einmal vom Meer, Licht und den Felsen begeistert. Man kann sich kaum satt sehen.
Vor und nach Odeceixe durchqueren wir riesige verbrannte Flächen. Gerade mal vier Wochen ist es her, der Geruch von Rauch hängt noch schwer in der Luft. Die Tragödie liegt darin, dass die Hauptursachen in Fahrlässigkeit und Brandstiftung zu finden sind ...!
Unsere letzten 45 km bis Sagres radeln wir mit erstaunlich viel Energie und können es am Ziel kaum fassen, wirklich angekommen zu sein. Dafür lassen wir uns einige Tage Zeit. So schön wie die Reise auch war, der Sehnsuchtsort Portugal hat sich ausgeträumt.
Von unserer Unterkunft blicken wir auf Cabo de São Vicente, dem südwestlichsten Punkt vom europäischen Festland. Hier steht der Farol, sein 1848 erbautes Wahrzeichen. Dieser Leuchtturm gilt als der lichtstärkste Europas, dessen Lichtkegel knapp 60 km über den Atlantik reicht.
Wir freuen uns auf den Flieger nach Hause und besonders auf unsere Freunde, die uns 5 Monate lang per Chat begleitet haben, die wir mit "Wo-sind-wir-Fragen" löchern konnten oder uns bei Bedarf ausheulen :-) Nun rollt die Fahrt "Casa - Sagres" aus. Bleibt noch die Frage, wann ist man am Ziel: Ist es der zufriedene Tag? eine Strecke? ...? Auf jeden Fall sind wir jetzt am Ende unserer großartigen einzigartigen Reise. Até a proxima, adeus, au revoir und auf Wiedersehen. Michael und Manuela
Die Routenplanung erfolgte mit Bikemap
Routing/Tracking mit der App Oruxmaps GP, Karten von OpenAndroMaps auf einem Samsung S10+
Sämtliche Etappendarstellung incl. Profil im Bikemap-konto abgelegt